Gefährdungsbeurteilung physischer Belastungen–welche Gefährdungen treten in ihrem Betrieb auf

Mehr als zwei Drittel der Deutschen leiden früher oder später unter Rückenschmerzen. Häufig treten die Schmerzen nur akut und vorübergehend auf, bei vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind sie jedoch chronisch. Verspannungen der Rückenmuskulatur und Bandscheibenvorfälle sind typische Beispiele.

Dieses hat direkte Auswirkungen auf das Arbeitsleben: Etwa jeder zehnte Krankheitstag in Deutschland geht zu Lasten von „Rückenbeschwerden“. Betroffene fallen meist plötzlich aus, ihre Behandlung ist oft langwierig, im schlimmsten Fall müssen Beschäftigte ihren Beruf vorzeitig aufgeben oder gar frühverrentet werden.
Deshalb ist bei Übertragung von Aufgaben der manuellen Handhabung von Lasten, die für die Beschäftigten zu einer Gefährdung für Sicherheit und Gesundheit führen, vom Arbeitgeber die körperliche Eignung der Beschäftigten zur Ausführung der Aufgaben zu berücksichtigen. (§ 3 LastenhandhabungsV)
Folgende Aspekte sollten Sie bei der fachkundigen Erstellung der Gefährdungsbeurteilung möglicher körperlicher Belastungen berücksichtigen:
Werden Belastungen beim Heben und Tragen von Lasten, Ziehen und Schieben erfasst und dokumentiert sowie vermieden und verringert (Leitmerkmalmethode)?
Manuelle Lastenhandhabungen, also Heben, Halten, Tragen, und Absetzen von Lasten, Ziehen und Schieben von Lasten, ohne technische Hilfsmittel können – bei entsprechend hoher Belastung – zu Erkrankungen des Rückens und der Gelenke führen.

Mögliche Maßnahmen, um Überlastungen des Rückens und der Gelenke zu vermeiden oder zu verringern sind beispielsweise:

  • Hilfsmittel zur Entlastung (Tragegriffe und -gurte, Plattenheber, Vakuumheber, Sackkarre, Gabelhubwagen),
  • Bauliche und technische Arbeitsplatzbedingungen (Anpassen der Arbeitshöhen, technische Ausstattung),
  • Betriebliche Regelungen für den Umgang mit Lasten (schwere Lasten immer zu zweit tragen, Transportwege verkürzen),
  • Einsatzplanung von Beschäftigten (nur körperlich geeignete Personen einsetzen),
  • Unterweisen der Beschäftigten über das richtige Tragen und Heben (Lasten niemals ruckartig anheben, etc.),
  • Betriebliche Gesundheitsförderung und arbeitsmedizinische Beratung.

Eine Gefährdung der Wirbelsäule und der Rückenmuskulatur durch zu schweres Heben oder Tragen muss vermieden werden. Dazu müssen die entsprechenden Tätigkeiten ermittelt, beurteilt und dokumentiert werden.

Werden Belastungen durch Tätigkeiten mit erzwungenen Körperhaltungen (Zwangshaltungen) erfasst und dokumentiert sowie vermieden oder verringert?

Die am häufigsten in der Arbeitswelt vorkommenden Zwangshaltungen sind:

  •  Arbeiten in starker Rumpfbeuge, z. B. Maurer, Eisenflechter,
  •  Hocken, Knien, Fersensitz, Kriechen, Liegen, z. B. Bodenleger, Estrichleger, Pflasterer, Installateure,
  •  Arbeiten über Schulterniveau, z. B. Maler, Putzer, Automobilmontagetätigkeiten,
  •  über längere Zeitabschnitte erzwungene Sitzhaltung aufgrund der Arbeitsaufgabe bzw. Arbeitsgestaltung, z. B. Mikroskopiertätigkeiten, Uhrmacher, Qualitätskontrolle,
  •  Dauerhaftes Stehen ohne wirksame Bewegungsmöglichkeit, z. B. Friseurtätigkeiten, Arbeiten im Operationssaal.

Mögliche Maßnahmen, um Überlastungen des Rückens und der Gelenke zu vermeiden oder zu verringern sind beispielsweise:

  •  starke Rumpfbeuge oder häufiges Bücken durch Anpassen der Arbeitshöhe oder Bereitstellen von Hilfsmitteln vermeiden, z. B. Hubtisch oder Vakuumheber,
  •  häufiges Hocken oder Knien vermeiden oder ergonomisch günstige Knieschützer zur Reduzierung der Belastung der Kniegelenke bereitstellen und benutzen,
  •  Wechsel der Körperhaltung ermöglichen (z. B. Wechsel zwischen Sitzen und Stehen, Sitzgelegenheit vorsehen, Pausen, Tätigkeitswechsel).
  •  Arbeitsplatz umgestalten (z. B. Bewegungsraum, Greifraum, Beinfreiraum, Sehraum, Arbeitshöhe)
  •  Armstützen, Fußstützen, geeignete Arbeitssitze (auch Stehhilfen) bereitstellen,
  •  Beschäftigte unterweisen (z. B. Stuhleinstellung, richtiges Sitzen)

Werden Belastungen durch Tätigkeiten mit erhöhter Kraftanstrengung oder Krafteinwirkung erfasst und dokumentiert sowie vermieden oder verringert?

Tätigkeiten mit erhöhter Kraftanstrengung treten oft in Verbindung mit schwer zugänglichen Arbeitsstellen auf, z. B. beim Besteigen von Kränen, Windenergieanlagen oder Freileitungsmasten. Sie belasten den gesamten Körper und erfordern eine gute körperliche Leistungsfähigkeit.

Tätigkeiten mit hoher Krafteinwirkung können in unterschiedlichen Formen auftreten:

  •  Der direkte Einsatz der Hand als Werkzeug, etwa beim Klopfen, Hämmern, Drehen oder Drücken, kann zu Beschwerden und Schäden des Handskeletts führen.
  •  Bei der Bedienung von Arbeitsmitteln, etwa dem Halten und Drücken einer Zange o. ä., können gegebenenfalls Beschwerden im gesamten Arm bis zur Schulter entstehen.

Mögliche Maßnahmen zur Verringerung der körperlichen Überlastung durch Tätigkeiten mit erhöhter Kraftanstrengung oder Krafteinwirkung sind:

  •  montage- und wartungsfreundliche Konstruktion (ergonomisch günstige Griffgestaltung, Anschlagpunkte für Krafteinleitung, Berücksichtigung von Montage- und Wartungsflächen)
  •  Vermeidung von Aktionskräften, die die Belastbarkeit überfordern (Nutzung von Spezialwerkzeugen, Gewichtsreduzierung von Werkzeugen)
  •  sichere Arbeitsbedingungen (ausreichender Bewegungsraum, ebener, rutschfester und stabiler Boden, geeignete Arbeitsschuhe, gute Sichtverhältnisse)
  •  extreme Temperaturen und Feuchtigkeit vermeiden (Einhausungen, spezielle Körperschutzmittel)
  •  angemessenes Arbeitspensum (Verringerung des Arbeitstempos, Wechsel zwischen be- und entlastenden Tätigkeiten, ausreichende Erholungszeiten)
  •  Unterweisung der Beschäftigten (vor Aufnahme der Tätigkeit, bei Veränderungen im Aufgabenbereich, Einführung neuer Arbeitsmittel oder einer neuen Technologie)
  •  tätigkeitsbezogenes Training (Strategien zur Verringerung der körperlichen Belastungen bei hohen Kraftanstrengungen, korrekte und sichere Nutzung von Werkzeugen und Hilfsmitteln sowie persönlicher Schutzausrüstung, vernünftige Arbeitseinteilung usw.)

Werden Belastungen durch sich ständig wiederholenden Tätigkeiten mit hohen Handhabungsfrequenzen (mehr als 10 pro Minute) erfasst und dokumentiert sowie vermieden oder verringert?

Bei sich ständig wiederholenden Tätigkeiten mit hohen Handhabungsfrequenzen (mehr als 10 pro Minute) werden gleiche oder ähnliche Arbeitsvorgänge immer wieder durchgeführt. Dabei können Muskeln und Sehnen durch die gleichförmigen Bewegungen überlastet werden. Besonders häufig beansprucht sind die Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenke.
Die Beanspruchung verstärkt sich erheblich bei gleichzeitig hoher Kraftanstrengung und durch extreme Gelenkbewegungen. Typischerweise treten repetitive Tätigkeiten an Bandarbeitsplätzen auf.
Wenn Arbeiten sich ständig wiederholen, können Muskeln und Sehnen überfordert werden. Dies tritt häufig im Bereich der Hände, Arme und Schultern auf. Es kommt zu Schmerzen und Überlastungserscheinungen. Eine solche Gefährdung der Muskeln und Sehen durch sich ständig wiederholende Tätigkeiten mit hohen Handhabungsfrequenzen muss vermieden werden. Dazu müssen die entsprechenden Tätigkeiten ermittelt, beurteilt und dokumentiert werden.

Mögliche Maßnahmen zur Verringerung der körperlichen Überlastung durch sich ständig wiederholende Tätigkeiten mit hohen Handhabungsfrequenzen sind:

  •  montagegerechte Konstruktion (leichte Zugänglichkeit der Arbeitsstellen, Vermeidung von hohen Fügekräften, Vermeidung von unnötigen Bewegungen)
  •  Verwendung geeigneter Hilfsmittel (ergonomische Werkzeuge, Halte- und Fügevorrichtungen, Armabstützungen, Sehhilfen)
  •  gute Arbeitsumweltbedingungen (Anordnung der Bedienelemente, Arbeitsdrehstühle, ausreichender Bewegungsraum, gute Luft- und Beleuchtungsverhältnisse)
  •  gute Gestaltung psychischer Anforderungen (Vermeidung der Überforderungen durch Dauerkonzentration, Vermeidung von Monotonie)
  •  gute Arbeitsorganisation (angemessenes Arbeitspensum, ausreichende Erholungszeiten, Wechsel zwischen be- und entlastenden Tätigkeiten, Vermeidung von Zeitdruck)
  •  Unterweisung der Beschäftigten (vor Aufnahme der Tätigkeit, bei Veränderungen im Aufgabenbereich, Einführung neuer Arbeitsmittel oder einer neuen Technologie)
  •  tätigkeitsbezogenes Training (Auswahl geeigneter Hilfsmittel, richtige Körperhaltung, Ausgleichsübungen)
  •  individuelle Beratung der Beschäftigten im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge (G 46).

Für eine genauere Aussage über das Ausmaß der Belastungen ist die jeweilige Leitmerkmalmethode fachkundig durchzuführen.


Quelle: www.sifa-news.de
Autor: Stefan Johannsen, Dipl.-Biologe